Holz und Feuer
Er war im Nachbarhaus. Gleichzeitig fand er dort die Worte «Holz» und «Feuer». Hierbei war er noch jung. So jung, dass ihn zum ersten Mal die Kälte einer Gleichzeitigkeit in die Knie zwang. Seine Sinne hatten versagt. Weder «Holz» noch «Feuer» war früher gewesen. Keins der beiden hatte sich dem andern gegenüber verspätet. Beim plötzlichen Brand hatte die gemeinsame Wucht der Worte ihn überwältigt, ihr Umschlagen ineinander. Also unterwarf er sich ihrer ausserirdischen Verwandtschaft. Er verpflichtete sich, ihnen dieselben Fähigkeiten anzuerziehen. Keinen Unterschied wollte er dulden zwischen ihnen. Wollte ihnen für immer den gleichen Platz einräumen in seinen Gedanken und in seinen Handlungen. Er fand einen Sinn für Gerechtigkeit, und das ist der: Warum hast du am Anfang nicht aufpassen können? Warum konntest du zwischen das Erscheinen der Worte keinen Unterschied werfen? Keine Erfahrung? Keinen Abstand?
Obwohl er versuchte, die Worte gleich einzusetzen in der Welt, fühlte er sich dazu nicht in der Lage. Wenn er mit den beiden Worten sprach, war er immer verspätet oder zu früh, nicht hier sondern woanders. «Holz» und «Feuer» verschlangen Holz und Feuer, ohne sich je ähnlich zu werden, ohne sich je zu mischen. Alles war immer vorbei, bevor es begonnen hatte. Lange ahnte er nicht, dass «Holz» den Raum krümmt in seinen Maserungen und «Feuer» im Lecken der Flammen die Zeit in Falten wirft. Seine Verwirrung blieb unentdeckt, denn er sparte eine Lücke aus in seinem Sprechen. Er sparte die Lücken aus, um in ihr seine Gleichung aus Holz und Feuer zu verstecken. Um in ihr die beiden Worte zu vergessen,
Ein letztes, ihm von uns abgehörtes Selbstgespräch hat ihn dennoch verraten: «Leute haben nicht angehalten auf dieser Strecke. Ich war oft dort unterwegs. Steiniges Gelände. Alle auf dieser Strecke hatten die Angewohnheit, eine Weile nebeneinander her zu fahren, wenn sie sich in derselben Richtung überholten. Nicht um durch den Staub miteinander zu sprechen. Eher, um die Zeit aneinander abzuwägen. Als könnten sie die Zeit zwischen sich messen. Und einmal fielen mir die Augen zu, und als ich sie wieder aufmachte, fuhr im Wagen neben mir – niemand. Ich sah, dass der Wagen leer war. «Weil er abgeschleppt wird», dachte ich. Ich sah weiter die eingeschlagene Seitentür, dann das Seil, dann den abschleppenden Wagen. Auch dieser Wagen war leer. Die Kopfstütze stützte keinen Kopf. Doch diesen Wagen steuerte ein Kind. Ich sah seinen Kopf zu mir zurückgewandt neben der Fahrersitzlehne. Das Kind blickte mich an, dann setzte es sich wieder gerade. Der abschleppende Wagen schien nun so leer, wie der abgeschleppte. Ich kam von der Strasse ab und fuhr in den einzigen Baum, der entlang der Strecke stand. Er brannte. Ich fror und fiel in eine andere Zeit. Wie neu geboren.»
Die Holzschnitte entstanden von Juli bis September 2001 in Zürich und Brissago. Die Inspiration zu diesen «covered woodcuts» verdanke ich Martin Schongauer, Maler und Kupferstecher, 1445/50 – 1491 und Jimi Hendrix Musiker, 1942 – 1970
Den Text zu den hier vorliegenden Holzschnitten verfasste Tim Zulauf, Künstler und Journalist, geboren 1973, er lebt und arbeitet in Zürich.
siehe auch: | Peter Emch |
www.peteremch.ch |