Einmal im Jahr muss Abi Shek heimfliegen. Heim von Stuttgart nach Israel zu seinen Eltern, in sein Land, in das zu gelangen seiner Familie einst unmenschlicher Zoll abverlangt wurde. Als Künstler verdankt Abi Shek Israel wohl mehr als Deutschland. 1965 in Rehovot als Sohn eines Künstlerpaares geboren und in einem Kibbuz aufgewachsen, prägte neben seinen Eltern auch der expressionistische, aus Berlin nach Palästina emigrierte Künstler Rudi Lehmann seinen kindlichen Blick auf die Welt. Neben dessen Holzschnitten und Tierskulpturen faszinierte Abi aus Abfällen und Blech phantasievoll gebasteltes Spielzeug von Beduinenkindern. Mit der Holzschneiderei hatte er längst begonnen, als ihn 1990 der israelische Künstler Micha Ullman an die Stuttgarter Akademie aufnahm und förderte. Während sein Professor, zu dessen Meisterschülern Abi Shek zählte, heute wieder in Israel, in Ramat Hasharon, lebt, blieb Abi der Liebe wegen in Deutschland. So fliegt er denn einmal im Jahr mit seiner Frau und den zwei Kindern heim. Sonst würde er krank, sagt er.
Wer jetzt die großen Blätter Sheks in dieser Xylon-Ausgabe aufschlägt und zugleich Arbeiten Ullmans, etwa das ergreifende Berliner Denkmal zur Bücherverbrennung oder seine Arbeiten mit der Materie Erde, vor dem inneren Auge hat, der erkennt augenblicklich eine geistige Verwandtschaft. Beide, Ullman und Shek, treiben ihre Arbeiten auf den formalen Punkt zu, wo Schlichtheit bzw. Klarheit mit ästhetischer Erfüllung gleich wird. Man sollte auch Schönheit sagen, wenn das Wort durch die Werbe-Industrie nicht jämmerlich prostituiert worden wäre.
Abi Sheks Schönheitsvorstellungen sind jedenfalls an Dingen geschult, die entstanden, als es «Schönheit» als Wort noch gar nicht gab. Oder als einige Schriftgelehrte Buchstaben zeichengleich zu Begriffen zusammensetzten. Daheim in Israel, ziehen sein Vater und Abi regelmäßig durchs Land, um archäologische Zeugnisse zu finden. Was sie bergen, reicht zurück bis in die früheste Steinzeit. Doch mit landläufiger Heimatkunde haben die se Besuche alter Siedlungsplätze und Höhlen nichts zu tun. Denn zu finden sind dort nicht nur Faustkeile, Äxte oder kultische Gegenstände historischer Gesellschaften: Zu finden ist Zurückgelassenes aus steinalten Konflikten, von Lebensproblemen, von Geist, Macht und Fortschritt – von Gemeinschaften oder Gesellschaften und ihren archaischen Fragen, die Abi Shek und uns bis heute beschäftigen: Sie haben ihre Relevanz erhalten.
Exakt dieses Archaische zu treffen und die Zeit gerinnen zu lassen, ist das Ziel von Abis Kunst. Seine Grafik wie diese Holzschnitte hier sind von der Plastik nicht zu trennen. Für seine plastischen Werke (www.abishek.de) benutzt er überwiegend einfaches Blech, wie es die Flaschner zerschneiden. Sogar auf die dünnen Getränkedosen, aus denen die Beduinennachbarn ihr Spielzeug fertigten, hat er sich besonnen. Er sagt von sich, er sei nicht fromm. Wenn er sakrale Werke schafft, dann setzt er sich mit religiösen Symbolen auseinander, ohne sie zu kopieren. So hat das hebräische Alphabet für ihn in erster Linie zeichenhaften Charakter, der Sinn von ins Blech gestanzten Wörtern ist meist fragmentarisch. Auch das eben Fundstücke.
Bemerkenswert sind die Annäherungen von Holzschnitten und reliefartigen Plastiken in der letzten Zeit: Dass Abi der Dreidimensionalität in der Grafik misstraut, wird immer stärker sichtbar. Beim Drucken (das Xylon-Heft hier stellt etwas Besonderes dar, so wie es die Materialität des ausgewählten Papiers ist) verwendet er am liebsten Leinwand: deren Struktur schafft Tiefe, Papier ist ihm oft zu «kultiviert». Auch die Holzschnitte verweisen in die archaisch unverfälschte kulturelle Vorzeit: Es geht Abi Shek auf den Leinwänden wie auf den Papierarbeiten zum einen darum, eng begrenzte Bewusstseinsräume durch Motive zu erweitern, die möglicherweise in uns verborgen sind. Zum anderen gehen sie uns in ihrer Größe und klaren Präsenz unmittelbar an. Manche Fabelwesen scheinen darunter zu sein, Fabelwesen, wie sie 600 Jahre vor unserer Zeitrechnung der griechische Dichter Äsop ersann, um den Menschen listenreich einen Spiegel ihrer Kultur vorzuhalten. Abi ist auch so ein Listenreicher. Seine großartigen Arbeiten tragen keine Titel: Die Heimatkunde, um die er weiß, muss jeder in sich selber suchen.
Burkhard Baltzer
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