couverture
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«Apokalyptisches Schach», 49.5 x 69.5 cm
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«Krieg den Monstern, Friede den Kriegern», 49.5 x 69.5 cm
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«Turan wedding / Metallblume», 49.5 x 69.5 cm
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«von Gesang geleitete Zangengeburt observiert von fleckigen Dunkelmänner», 49.5 x 69.5 cm
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«alter Kopf / In Bandage», 49.5 x 69.5 cm

Borderliners Meeting

 

Gustav Kluge knüpft mit seinen Gestaltungsmitteln für die Holzschnitte seiner Xylon-Zeitschrift unmittelbar an die Formensprache des Expressionismus an, der die Kunst des Holzschnitts zu unerreichten Höhen geführt hatte. Klare Figuration, harte Kontraste, präzise und ausdrucksstarke Linienführung, das Wechselspiel von Linie bzw. Kontur und Fläche stehen im Mittelpunkt dieser Formgebung, wie sie vor allem die Künstler der Brücke – Ernst-Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff, Erich Heckel oder Max Pechstein – zur Meisterschaft entwickelt hatten.

Was sich formal in aller Klarheit und Schärfe, in der kompromisslosen Härte von Schwarz und Weiß schon vor aller Inhaltlichkeit vermittelt, entwickelt seine volle Wucht erst mit den Inhalten und Stoffen, die Kluge hier ins Bild setzt. Schon die Titel lassen die düsteren Welten erahnen und endzeitliche Szenarien aufscheinen, um die es hier geht: Hier wird «Apokalyptisches Schach» gespielt, der «Krieg den Monstern» erklärt, eine «Zangengeburt» vorgenommen, die sich im Bild als brutale Folterszene darstellt.

Gustav Kluges Gesamtwerk kreist immer wieder um die Themenfelder von Schmerz und Leid als Folge von Macht, Gewalt und Unterdrückung. Die schiere Last der Körperlichkeit, in seiner Malerei oft in erdrückender Materialität eines schrundig-schweren Farbauftrags vorgetragen, wird ihm dabei zum eindringlichen Bild nicht nur körperlicher, sondern auch seelischer Verletzung.

In Kluges Blättern für die Xylon-Zeitschrift scheint – im 100. Gedenkjahr zum Ausbruch des 1. Weltkriegs – in der Bildsprache des Expressionismus das Themenfeld des Krieges auf. Beim Schachspiel sitzen sich ein Soldat mit Stahlhelm und eine bärenartige Tiergestalt gegenüber. In der Schachfigur, die der Soldat bewegt, prägt ein Hakenkreuz die Gesichtszüge des Königskopfes; sein animalisches Gegenüber kontert mit einem Skorpion. Angesichts dieser Konstellation kann einem als Betrachter schon das Blut in den Adern gefrieren und man fragt sich, welche der Parteien wohl hier animalischer agieren mag. Gewalt und destruktive Absicht zeigen sich hier jedenfalls als kalt kalkuliertes Strategiespiel.

Auch in «Krieg den Monstern» sieht man rechts eine Soldatengestalt in Tarnanzug und mit Stahlhelm, die mit angelegtem Gewehr auf eine monströse Gespenstergestalt zielt. Das Gespenst in Gestalt eines spiegelbildlich zusammengesetzten Doppeltotenkopfs wirkt wie eine Fata Morgana des Todes – ist es das Antlitz des zu monströser Größer aufgeblähten Todes selbst, das hier als Schreckgespenst, als allgegenwärtige Albtraumgestalt eliminiert werden soll?
Der Tod ist auch in «The Turan Wedding» allgegenwärtig, das auf Kluges Bild «Turan Wedding – Borderliners Meeting» von 2011 zurückgeht: Die männliche Figur im Vordergrund wird von Quadern durchsetzt, man könnte auch sagen: durchbohrt, die sich in ähnlicher Form wie übereinander gestapelte Särge auch im Hintergrund links im Bild wiederfinden. Bei der Vermählung scheint es sich

um einen Grenzgang zwischen den Geschlechtern, zwischen Leben und Tod, zwischen Vernunft und Wahnsinn zu handeln.
Entfesselten Schmerz, den Grenzgang zwischen Folter und Schöpfung, zwischen Geburt und Tod erleben wir auch in «Zangengeburt», bei der sich ein Chor um eine liegende Person versammelt hat. Ist es Kindbett oder Krankenbett, Folterbank oder Sarg? Eine genaue Zuschreibung bleibt offen... Die aufgerissenen Münder der Chorsänger erinnern an Edvard Munchs «Schrei», die Szenerie lehnt sich zudem an Max Beckmanns «Geburt» und «Tod» sowie die großartige «Hölle der Vögel» von 1937 an, in der vogelartige Federwesen sich mit zum Hitlergruß erhobenen Armen als Einpeitscher in einer Folterszene betätigen – ähnlich wie hier der «Dirigent» am linken Bildrand den Schreckens-Chor koordiniert.
Die beiden Köpfe im letzten Blatt schließlich konfrontieren noch einmal die Prinzipien von Aggression und Verwundung, von Stachel und Bandage. Verletzung und Heilung gehören für Kluge immer zusammen, und beides ist im künstlerischen Handeln ebenso aktiv zu gestalten wie auch passiv zu erleben bzw. zu erdulden. Was Gustav Kluge darstellt ist somit auch immer, was er als Künstler selbst vollzieht: ein Grenzgang – oder um es mit seinem eigenen Bildtitel zu sagen: ein Borderliners Meeting.

 

Reinhard Spieler

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