The Java Olive Tree
Während meines 6-monatigen Stipendiums 2010 im indischen Varanasi verfehlte mich eines Tages in meinem Garten ein herabfallender morscher Ast nur um Haaresbreite. Schicksalshaft wurde ich auf diesen Baum mit seinen faszinierenden Fruchtschalenkörpern aufmerksam.
Ich begann diese Fruchtschalen zu sammeln und hängte sie im Atelier an Schnüren auf. Eines Tages, als ich eine Lektion für die Studenten an der Benares Hindu University vorbereitete und im Atelier mit dem Beamer in der Hand herumhantierte, traf ganz überraschend der Strahl des Beamers eine dieser hängenden und leicht drehenden Fruchtschalen und projzierte eine riesige amorphe schwarze Form an die Wand. Es war mir sofort klar, dass in diesem Moment etwas Aussergewöhnliches passierte und ich dieses Ereignis nicht ungenutzt vorbeiziehen lassen durfte.
Sofort begann ich an diesem neuen Formenvokabular zu arbeiten und entwickelte in der mir noch verbleibenden Zeit in Varanasi weitere Formen, bis schliesslich 111 verschiedene Formen entstanden sind – alle aus den projizierten Schatten entstanden.
Dieser Baum schenkte mir ein faszinierendes neues biomorphes Formenvokabuklar, das auf Grund seiner Wandlungsfähigkeit und
seiner Instabilität mich bis heute beschäftig. Zudem vermittelt es mir immer wieder das Gefühl, die sichtbare Form könne jeden Moment in eine andere übergehen. Mein Schriftstellerfreund, Ernst Halter, erkennt in dieser Arbeit, wenn man sie aus einem unkonventionellen, nicht spezifisch kunstbezogenen Blickwinkel betrachtet, in immer neuen Ansätzen sichtbar werdende Entropien. (Der Begriff Entropie stammt aus der Thermodynamik und bezeichnet dauerhaft instabile Zustände etwa von Gasmolekülen in einem geschlossenen, durch irreversible Prozesse charakterisierten System). Für mich spielt in dieser bis heute fortlaufenden Recherche zum Thema des ständigen übergangs die Visualisierung von Prozessen eine wesentliche Rolle.
Ob die wachsende Faszination für organische Formen als Reaktion auf die Technik– und Digitalisierungseuphorie seit der Jahrtausendwende gewertet werden soll, lasse ich offen.
Für diese XYLON-Zeitschrift habe ich erneut auf dieses Formenvokabular zugegriffen und zum ersten Mal die 2010 in Varanasi entwickelte Formensprache leicht abstrahiert.
Georges Wenger
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