Zu Emma Stibbons Alpenlandschaften
«Statt Kunstwerke zu schaffen wird man die Natur in großem Maaße verschönern in ein paar Jahrhunderten Arbeit, um z.B. die A l p e n aus Ihren Ansätzen und Motiven der Schönheit zur Vollkommenheit zu führen.» Friedrich Nietzsche, 1880
Aus Nietzsches schwärmerischen Worten von der Vervollkommnung der Alpen spricht eine Traumvorstellung vom idealen Hochgebirge, der perfekten Gedankenlandschaft zwischen dem Mittelmeer und dem nördlichen Mitteleuropa. Der Philosoph formuliert einen Gedanken, der bereits im englischen Begriff von den Alpen als «playground of Europe» angelegt ist. Die Alpen zählen zu den legendären Traumlandschaften, die die Sehnsucht des Menschen nach einer reinen Wunderwelt nähren. Seit dem 18. Jahrhundert suchen Reisende die wilde, grausige Schönheit der Natur ebenso wie das Pikturesk-Anmutige.
Die britische Künstlerin Emma Stibbon weiß um diese geistesgeschichtliche Aufladung der Natur und doch tritt in ihren Werken wohl das unbeschreibliche Naturbild in den Vordergrund. Stibbons Ansichten des vergletscherten Gebirges sind bei ihren Wanderungen durch die Schweizer Alpen entstanden. Der Blick der Künstlerin auf die Landschaft ist der eines Menschen, der unter dem unmittelbaren Eindruck des Naturerlebnisses steht. In starken Schwarz-Weiß-Tönen heben sich schroffe Felswände von schneebedeckten Tälern ab. Blicke vom Gipfel lassen den Betrachter die eindrucksvolle Höhe und Weite der Berge erahnen.
Durch das Arbeiten mit Holz wirkt der Kontrast zwischen dem Weiß des Schnees und dem schwarzen Fels unmittelbar begreiflich.
Stibbon zeigt die gewaltige Gebirgslandschaft im Zustand ständiger geologischer Veränderung. Die Erosion des Gesteins lässt das Massive fragil und flüchtig wirken. Sie deutet damit die Verletzlichkeit der Natur schön heit an, die Tourismus, Transitverkehr und dem globalen Klimawandel ausgesetzt ist. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Gletscher der Schweizer Alpen bis zum Jahr 2050 größtenteils und bis 2100 vollständig verschwunden sein werden. Künftige Generationen werden die dargestellten Berge karg und entblößt sehen. So betrachtet liegt der weiße Mantel des Firnschnees wie eine Schutzhaut über dem dunklen Gestein.
Emma Stibbons Arbeiten wirken melancholisch, weil sie die Endlichkeit des Naturmonuments so eindringlich vermitteln.
Aeneas Bastian
On Emma Stibbon’s alpine landscapes
«Statt Kunstwerke zu schaffen wird man die Natur in großem Maaße verschönern in ein paar Jahrhunderten Arbeit, um z.B. die A l p e n aus Ihren Ansätzen und Motiven der Schönheit zur Vollkommenheit zu führen.»
Friedrich Nietzsche, 1880
In Nietzsche’s rapturous words on the perfection of the Alps we have a wondrous vision of mountains. Between the Mediterranean and North Middle Europe the Alps form part of a legendary dream landscape of ideas, feeding our longing for a pure wonderland. The philosopher formulates a concept about a place for which the English had already coined the term «the playground of Europe».
Since the 18th century travellers, writers and artists have sought the wild and terrible beauty of nature as well as the picturesque and charming.The British artist Emma Stibbon is well aware of this charged history of ideas and yet her work engages directly with the forces of nature.
Stibbon’s images of glaciated mountains originate from her wanderings in the Swiss Alps and her view of the landscape is one of a person immersed in nature. In stark black and white monochrome she raises up ice fields from snow covered valleys, and her views from the summits show the observer the breathtaking height and breadth of the mountains’ grandeur. Working in wood she graphically depicts the contrast between the white snow and black rocks.
Stibbon shows the immense mountain landscape in a state of constant geological change; the monumental rendered fragile and fluid by erosion.She emphasises the implicit vulnerability of natural beauty at the mercy of tourist traffic and global change. Scientists believe the glaciers in the Swiss Alps will have largely disappeared by 2050 and completely disappeared by 2100. Whilst it provokes a sense of melancholy, Emma Stibbon’s work also urges us to contemplate the finiteness of this natural monument; whilst we may look at the protective white mantle of Firn snow covering the dark rocks, future generations will see barren, bare mountains.
Aeneas Bastian